Regierungssitz Brasiliens, 2 Mio Einwohner, davon 10% Beamte und Angestellte – die Stadt mit dem höchsten Pro-Kopf Einkommen Brasiliens. Einerseits. Eine in Beton gegossene Stadtvision, die einzige futuristisch anmutende Hauptstadt der Erde, Weltkulturerbe der UNESCO und Lebenswerk Oscar Niemeyers. Andererseits.
Zweiteres war unser Grund, die Ostertage dort zu verbringen. Natürlich nicht in irgendeinem Hotel, sondern in einem Gebäude, das auch von Niemeyer geplant wurde und heute noch den Charme der 60er hat.
Ende der 50er Jahre gab der damalige Präsident Juscelino Kubitschek den Startschuß, den Regierungssitz Brasiliens weg von Rio de Janeiro hin zu einer neu zu schaffenden Hauptstadt zu legen. Der Plan dafür war schon lange vorgesehen, auch stand der Name Brasilia bereits fest. Gefunden wurde eine Region in der Mitte Brasiliens, die perfekt für das Vorhaben war: Hochplateau, klimatisch gute Bedingungen und eben eine riesiges, freistehendes Areal von 5814 qkm.
Die Stadtplanung und Architektur wurde ausgeschreiben, den Zuschlag bekamen Lúcio Costa als Planer, Oscar Niemeyer als Architekt und Roberto Burle Marx als Landschaftsplaner – also das Dreigestirn brasilianischer Baukunst. Gemeinsam entwickelten sie den Plano Piloto, der sich wie folgt darstellt:
Von oben hat die Stadt einen Grundriß wie ein Flugzeug, das an einem See zum Halten gekommen ist – kurz vor dem Präsidentenpalast, der direkt am See liegt. Die Zentralachse, der Eixo Monumental entspricht dem Rumpf und ist ungefähr zwei Sportplätze breit und 6 km lang. Ganz vorn (quasi im Cockpit) befinden sich die Regierungsgebäude – im Mittelpunkt der Nationalkongreß, von dort aus der Blick auf die drei Säulen des Staates: Judikative, Legislative und Exekutive – jeweils in einem freistehenden Gebäude untergebracht. Der gesamte Komplex ist durch offene Blickachsen verbunden.
Dann dem Rumpf entlang (Passagierkabine) die Ministerien – alle hintereinander aufgereiht. Am Schnittpunkt zu den beiden Tragflächen, dem Eixo Rodovário, die Gebäude für die Öffentlichkeit wie Catedral Metropolitana, Nationalbilbliothek und Theater. Die „Tragflächen“ sind für Wohngebäude, Einkaufszentren, Restaurants etc. Im hinteren Teil Sportstätten, der zentrale Park und die Gedenkstätte für Kubitschek, ganz hinten der Militärbezirk.
In Brasilia gibt es keine Straßennamen, sondern Blocos, wie zum Beispiel SCN Q 02 – Sector Comercial Norte, Quadra 02. Fußgänger waren und sind überhaupt nicht vorgesehen, die Stadt soll mit dem Auto befahren werden. Das haben wir als Fußgänger gemerkt 😉 Die Wege von A nach B sind irre weit – also Empfehlung: Leihwagen!
Die Stadt wirkt wie ein sozialistisches Manifest und erinnert an Trabantenstädte, die man aus dem Ostblock kennt – alles aus Beton, perfekt strukturiert und mit gewaltigen Freiflächen. Nur das Brasilia besser ist, was vor allem an der Architektur liegt. Wenn man sich vorstellt, dass alles in den 60ern entstanden ist und auch heute noch unschlagbar in Sachen Futurismus ist?
Sehr spooky ist der Militärbezirk mit der Avenida do Exército, einer 6spurigen Straße, die für Paraden während der Militärdiktatur genutzt wurde. Auch dort stehen zwei Niemeyer-Gebäude, ein Theater und eine muschelförmige, offene Konzerthalle. Wir waren fast die einzigen Besucher dort und fühlten uns ziemlich verloren in der Weite des Geländes und mit der Vorstellung, was dort vor 30 Jahren abgegangen sein muß.
Superschade war, dass einige Gebäude und Museen geschlossen waren – schluchz! Wir konnten leider nicht die Catedral Metropolitana besichtigen und eine Kerze dort anzünden, wie ich geschrieben habe, weil die DOOFEN Brasilianer nicht auf ihre Bauwerke achtgeben und jetzt kurz vor dem 50ten Geburtstag und der damit verbundenen Party am 21. April noch schnell alles renovieren müssen, damit’s dann hübsch aussieht! Heisst wohl, wir sollen nochmal wiederkommen 😉 pe