STYLE-POLICE

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Neulich habe ich eine Diskussion auf facebook verfolgt. Es ging um 3/4-Hosen für Männer und die Frage, ob man das darf? Einhellige Meinung: Nein, darf man nicht! Das sollte die „Style-Polizei“ vebieten, genauso wie zum Beispiel Sandalen mit weißen Socken. Und diese Liste ließe sich wahrscheinlich endlos ausweiten.

Ich erinnere mich noch an den letzten Sommer. Ich hatte in São Paulo ein enganliegendes und dazu noch knallrotes Kleid gekauft und mit nach Deutschland genommen, um dort festzustellen, dass ich es auf gar keinen Fall tragen werde. Die Modediktatur hätte mich in der Luft zerissen, mit abgemalten Brüsten, Bauch und Po. So etwas macht man nicht, es sei denn …! Aber abgesehen davon, ich hätte mich das in Deutschland auch gar nicht getraut.

In Brasilien ist das weiblich, in Deutschland peinlich!

Man tut dieses oder jenes einfach nicht, weil es den Geschmackssinn der Allgemeinheit empfindlich stören könnte. Man hält sich an die geltenden Style-Spielregeln, fällt nicht allzu sehr auf und ist bestrebt, irgendeine, wie auch immer definierte, allgemeine Norm zu erfüllen! Wer es nicht tut, ist entweder Paradiesvogel, Style-Ikone oder peinlich, oder?

Eine Style-Polizei in São Paulo hätte sicher auch viel zu tun, wenn es nach den geltenden Moderegeln ginge. Und ich denke, recherchiert man das Thema Mode in São Paulo anhand sozialer Schicht und Hautfarbe, kommt zusätzlich noch einiges Unschönes aufs Tapet, definiert sich ein Modediktat auf ganz andere Weise. Aber das ist gerade nicht mein Punkt. Ich möchte auf die Freiheit hinaus, das zu tragen, in dem man sich selber gut und wohl fühlt.

Im Frühling hatten wir Besuch von Jo’s Schwester Anne aus München und ihr fiel extrem positiv auf, dass sich hier scheinbar jeder so kleidet, wie er mag und das mit einem ordentlichen Schuß Selbstbewußsein zur Schau stellt. Dazu gesellt sich eine ausgeprägte Körperlichkeit, wie ich ganz am Anfang schon mal in den „Buchstabengrößen“ beschrieben habe. Viele Frauen zeigen, was sie haben oder auch nicht und sind fein damit. Und Mann findet das sowieso in jeder gearteten Proportion in Ordnung!

Aber auch der Mann zeigt sich, was zum Beispiel bedeuten kann, dass im Park bei heißen Temperaturen gerne ausschließlich in Shorts, Strümpfen, Turnschuhen und mit Pulsmesser gejoggt wird, egal, ob da 55 kg, 80 kg oder 150 kg Lebendgewicht laufen. Früher dachte ich: O Gott, kann er sich nicht ein T-Shirt drüberziehen? Heute denke ich: Wow, Respekt, dass er das einfach „trotzdem“ macht!  Und ich finde es gut, weil es so frei ist und niemand fragt, ob sich das jetzt gehört oder nicht, oder was die Anderen davon halten.

Ob es daher kommt, dass es hier viel wärmer ist und es auch gar keine andere Chance gibt, als sich mit wenig zu bekleiden, was zum Ergebnis hat, dass man eben sieht, was da ist? Und wir im kalten Deutschland die Verhüllungsexperten sind, weil wir nur in drei Monaten im Jahr wenig anziehen können? Oder ob die Menschen hier doch einfach toleranter sind, weil sie durch 500 Jahre permanenter Einwanderung gelernt haben, mit dem „Anderen“ umzugehen? Und wir aufgrund unserer Geschichte das Anpassen hinreichend geübt haben? (Sicher ein interessantes soziologisches Thema.) Ich für meine Fälle werde die stylepolice-freie Zeit noch so gut und lang genießen, wie es geht. pe

2 Gedanken zu „STYLE-POLICE

  • 22. September 2011 um 8:06
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    ein bißchen etwas von dieser Freiheit habe ich übrigens mitgenommen, kämpfe allerdings immer mal wieder darum. Denn hier in München mit den so vielen perfekt (bis zur Langeweile) gestylten Menschen überlegt man häufig wirklich zweimal – hier wogt auf den Straßen der Innenstadt doch eher wenig ;- )

  • 26. September 2011 um 17:08
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    hihi und dann ausgerechnet der Vergleich mit München… kicher 🙂

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