FAVELA ROCINHA

Rocinha ist eine der größten Favelas an einem Berghang im Süden von Rio. Offiziell leben dort ca. 60.000 Menschen – inoffiziell mittlerweile um die 200.000. Passiert man den Eingang von Rocinha, gibt es eine sehr praktische Möglichkeit, über die einzige ausgebaute Straße in die Favela – oder besser ans Dach der Favela – zu gelangen. Man lässt sich von einem Motorboy hochfahren.

So war es auch bei unserer Tour. Morgens hat unser Guide die Leute in verschiedenen Hotels eingesammelt und dann fuhren wir mit dem Bus in den Süden. Unterwegs gab es schon die ersten do’s and don’ts:
1. Keine Fotos im ersten Teil der Tour.
2. Wenn der Guide einen Hinweis gibt, zur Seite treten und die Personen vorbeilassen.
3. Den Leuten nicht offensiv ins Gesicht schauen – könnte provozieren.

Nach der wilden Fahrt mit dem Motorboy, gings direkt rein ins Gewühl. Die Favela ist eine gewaltige Ansammlung von Hütten, teilweise aus Stein, teilweise aus „Grmpf“ und es gibt insgesamt 4 Wege, die den Hang hinab führen. Unsere Route war Rua No. 1.

Der Weg war abenteurlich: klein und gedrungen, irre viele Treppen, Berge von Müll und Verwesung an den Seiten und zwischendurch immer wieder kleiner Shops und Läden. Stromleitungen überall und natürlich wild angezapft. Genauso wie das Wasser, das aus dem Berg kommt und  ich weiß nicht auf welchen Wegen in die Häuser gelangt. Über die Kanalisation kann ich nur sagen: Es gibt sie wohl nicht. Wie also die Abwässer ins Tal gelangen … hmmm … ich hatte Flipflops an und kann Vermutungen anstellen.

Wir sind vielen Menschen begegnet – auch welchen, die Waffen getragen haben. Dennoch habe ich mich dort nicht unsicher oder gefährdet gefühlt. Im Kleinen wird in den Häusern und Läden sehr wohl Ordnung und Struktur erzeugt. Laut Guide leben die Leute „ganz normal“.

Wir haben einige Einrichtungen besucht: Das Atelier dreier Künstler, die auch online ihre Bilder vertreiben. Straßenverkäufer, die ihre selbstgemalten Bilder und Schmuck angeboten haben. Ein kleines Geschäft, indem wir Kuchen und anderen Süßkram kaufen und uns mit Getränken versorgen konnten. Und last but not least eine Kinderstation, wo Waisen versorgt werden bzw. Mütter Rat und Hilfe finden können.

Also im Inneren läuft das – es gibt sogar Internetanschlüsse und die Gesamtversorgung für alles, was man so alltäglich brauchen kann, ist gegeben – Banken, Friseure, Shops aller Art, Kirchen etc.

Dennoch: So viel Dreck und Müll, der einfach an den Hängen liegen bleibt. So viel Gestank – den Geruch werde ich immer erinnern können. So viel Baufälligkeit und Chaos, das es schwer zu glauben ist, dass Menschen dort leben können. Ein Ergebnis dieser Umstände ist die hohe Tuberkuloserate.

Was sehr spooky war: Als Touristengruppe den Menschen bei ihrem Leben zuzuschauen. Und umgekehrt. Das hat etwas Unangenehmes von Zoo und ich habe mir immer wieder versichert, dass es ok ist, denn die Einrichtungen brauchen das Geld, dass die Touristen da lassen. Am Tag besuchen etwa 4-6 Gruppen die Favela. Alle gehen die Rua No.1, so dass wir davon ausgehen, dass die Route sicher ist. Denn, wenn einem Touristen dort etwas zustossen würde, wärs vorbei mit den Besuchen und den damit verbundenen Einnahmen.

Puuuh, die Tour war heftig. Wenn ich mir vorstelle, dass in Rio etwa ein Drittel der Menschen in diesen Umständen lebt wundert mich kaum, dass die Kriminalitätsrate so enorm ist. Die Favelas werden von der Drogenmafia kontrolliert – das Kartell in Rocinha ist ADA (Amigos dos Amigos – Freunde der Freunde). Zur Kenntlichmachung der Machtverhältnisse wird das Kürzel an die Türen und Straßen gesprüht. Die Gang sorgt dafür, dass die Poliziei draussen bleibt, denn sie stört nur bei der Abwicklung der Deals. Gleichzeitig kümmert sie sich aber auch um die Favela und sorgt für sanitäre Einrichtungen etc. Nahezu jeder, der in Rocinha lebt, hat mehr oder weniger mit der ADA zu tun. Selbst schon die Kleinen, die, wann immer eine Touristengruppe durch die Favela geht, Drachen als Warnung für alle steigen lassen, jetzt vorsichtig zu sein. pe

Text Bild oben (Kinderstation der Favela):
Danke! Wir sind zusammen im Auftrag, die Welt durch Liebe umzuwandeln.

4 Gedanken zu „FAVELA ROCINHA

  • 23. Januar 2010 um 8:16
    Permalink

    leider ist das die Schattenseite des Landes. Ich finde es wichtig, dass das nicht vergessen wird. Bei solchen Bildern und Geschichten schmerzt die Differenz brutto netto in Deutschland immer ein bisschen weniger. Hier ist sicher vieles nicht perfekt, aber Slums habe ich noch keine entdeckt!

  • 23. Januar 2010 um 9:03
    Permalink

    gucki moni,

    wir denken auch mittlerweile, dass vieles in deutschland gar nicht sooo schlecht ist. zum beispiel die freiheit der kInder und jugendlichen, einfach raus zu gehen – damit verbunden die sicherheit im land. die bürokratie, die verglichen mit brasilien ein klakks ist. und eine finanzielle mindestversorgung ist für alle gegeben, so dass solche zustände, wie zur zeit noch hier, hoffentlich nie eintreten.

    es gibt aber auch hoffnung für die menschen hier. dadurch, dass die regierung lula, durch das wirtschaftswachstum irre potent, eine menge geld in die sozialprogramme gesteckt hat, können sich die untersten schichten nun etwas leisten, da sie für die banken kreditwürdig geworden sind.

    zum beispiel bekommen diese eltern geld dafür, dass sie ihre kinder zur schule schicken und nicht arbeiten lassen. das geht zwar oft nach hinten los – geld doppelt einkassieren, vom staat und vom kind – aber wenn es nur wenige anders machen, ist dem system schon geholfen.

    so vollzieht sich ganz leise ein sozialer aufstieg. das wird warscheinlich nicht heißen, dass die favelas verschwinden, aber sie könnten ausgebaut und verbessert werden. und ganz ehrlich: wenn nur der müll aus den favelas verschwinden würde, d.h. die abfuhr besser organisiert wird und keiner mehr den scheiß einfach auf die straße kippt, wäre schon vielen geholfen.

    um beijo, liebe moni 🙂
    pe

  • 23. Januar 2010 um 10:27
    Permalink

    Guten Tag,
    trotz der drastischen Realität, die die Schere zwischen Haben und Nichthaben noch deutlicher aufzeigt als in Deutschland, sind Dir, Petra, tolle Fotos gelungen, die Abstoßen und Ästhetik eigentümlich miteinander verbinden.
    Wer über Hartz IV oder noch besser weit davor über materielle Ungerechtigkeiten jammert, sollte einmal die Brille absetzen und in die weite Welt schauen, und das bitte ohne mit Blicken all jene zu provozieren, die sich nach unseren Sozialleistungen die Finger leckten!
    Ich muss mich auch zweilen daran erinnern.
    Aus der Hansestadt Hamburg grüßt Euch, Blogger,
    der Patrick

  • 24. Januar 2010 um 11:11
    Permalink

    merci pat 😉

Kommentare sind geschlossen.