ROGER

centro

Manchmal ergibt ein Foto rückwirkend Sinn. Diesen Obdachlosen habe ich vor etwa einem Jahr im Centro in São Paulo fotografiert, tief schlafend inmitten seiner Hunde. Heute lese ich bei Facebook, dass der Mann Roger heisst, aus Bahia stammt, auf den Straßen von São Paulo lebt und Straßenhunde aufnimmt – mittlerweile hat er zehn. Er ist wohl sehr beliebt in seinem Viertel und erhält ausreichend Spenden, die er primär für die Versorgung der Tiere einsetzt. Und jetzt verstehe ich auch das Graffiti hinter ihm auf der Wand! Danke Bine für die Info! pe

STENCILS

trio

Was dem Paulistano das Graffitti, ist dem Buenos Airesser das Stencil, also das Sprühen mittels einer Schablone. Diese Kunst braucht in der Vorbereitung Zeit und Fingerfertigkeit mit dem Skalpell, aber einmal angefertigt, kann mit der Schablone ganz schnell – und dadurch im besten Falle unerkannt – ein Bild zigfach reproduziert werden, eine Botschaft zigfach transportiert werden. Und darum gehts!

Der Ursprung der Bewegung ist wohl in der Zeit des argentinischen Ausnahmezustandes von 2001 zu finden, als klassenübergreifende Proteste gegen die Regierung stattfanden, mit der Forderung: „Que se vayan todos!“ / „Alle sollen verschwinden!“ Gefordert wurde das Verschwinden aller politischen Parteien und die komplette Neustrukturierung des Landes. Zu dieser Zeit entstanden die ersten, politisch motivierten Stencils und sehr rasch explodierte die Bewegung.

Heute findet man Stencils fast an jeder Wand. Häufig überlagern sich die Motive – dort wo einer anfängt, gesellt sich bald ein Anderer dazu und so weiter. Hier ein Film zum Thema. Der ist zwar auf spanisch, aber man versteht auch so, worum es geht, wie es geht und was geht. pe

>>> zum Film

OI, TUDO BEM?

pinheiros

Hey Moni, stimmt, hab lange nichts mehr geschrieben. Ich war awoi lustlos, denn dieser Blog ist mit der Zeit doch etwas einseitig geworden – war doch am Anfang die Idee da, ihn als Instrument des gegenseitigen Austausches einzurichten. Vielleicht können wir das ja wieder zum Leben erwecken? Dann mache ich mal den Anfang.

Die letzten zwei Monate waren hier etwas anstrengend. Wir fühlen uns seit dem Urlaub im Januar jetzt erst richtig angekommen, der Huddel-und-Brassel-Fokus ist verschwunden und da ergeben sich dann andere Dinge, die zu verarbeiten sind. Wer bin ich, wohin gehe ich und warum weiß meine Golf den Weg … oder so ;-). Und im Gegensatz zu Deutschland – auweia, DER Winter! – war es hier sehr heiß mit etwa 30°C im Durchschnitt – nachts dann nie unter 20°C. Aber bloß kein Neid, die Temperaturen haben uns auf Dauer ganz schön gegrillt, zumal es hier sehr schwül dabei ist – tropisches Klima. Da bleibt man am liebsten drinnen, tut gar nichts und ölt stumpf vor sich hin.

Daher wurds auch irgendwann ziemlich langweilig, nicht für Jo, denn er hat ja den Job an der Schule, sondern fürs Peti, die sich so gar nicht recht fürs bloße Hausfrauendasein eignet. Eigentlich hätte ich von mir selber gedacht, endkreativ zu werden, Flash zu lernen, Illustrationen zu machen usw, aber die richtige Motivation fehlte und fehlt bis jetzt.

Stattdessen hat sich nun etwas anderes entwickelt, was ungleich spannender ist. Ab April werde ich Stadtführungen machen mit dem Schwerpunkt Graffiti in den Stadtteilen Vila Madalena und Pinheiros. Die Graffitiszene São Paulos hat mich von Anfang an begeistert und ich hab im Netz nach Möglichkeiten gesucht, mehr darüber zu erfahren. So ist ein Kontakt entstanden, ein Stadtspaziergang passiert – das schon im Januar – und die Idee geboren worden, dass ich diese Führungen in deutscher Sprache für die Company anbiete, bisher gibts das nur auf portugiesisch und englisch.

Der Bedarf ist da, denn hier leben viele deutschsprachige Expats – zur Zeit etwa 400.000. Und aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es für viele mit einem unguten Gefühl verbunden ist, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Da ist ziemlich viel Angst und Unsicherheit, denn São Paulo hat ja nicht den besten Ruf. Ich glaube, der größte Feind ist da eben die Unkenntnis und der möchte ich gerne entgegenwirken und einen neuen Blick ermöglichen.

Einen spannenden zugleich. Seit zwei Wochen schreibe und pauke ich jetzt alles Wissenswerte über das Graffiti hier, seine Herkunft, die Künstler usw. NOSSA, das ist wie eine Diplomarbeit schreiben, aber tut gut und macht Spaß. Zwei Testführungen gab es bereits, nächste Woche gehts dann weiter. Also von Langeweile – Graçias a deus – zur Zeit keine Spur. Drückt mal die Daumen, dass die Sache gut anläuft, bom? Und schreibt mal wieder – wir vermissen euch. pe

SOULSAMPA

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April, jetzt gehts los mit den StreetArt-Touren. Morgen ist die Erste mit einem Kollegen von Jo, diese läuft als Test und ich bin gespannt, ob mich Marc-André auseinandernimmt? 😉

Das Ganze wird durch SoulSampa realisiert, die sich vorgenommen haben, die Liebe zu ihrer Stadt, den spannenden Orten und sehenswerten Dingen mit allen Anderen zu teilen – daher Name und Programm, Stadtführungen in kleinen Gruppen zu veranstalten.

IMG_1729Meine Aufgabe ist, wie schon beschrieben, der deutschsprachige Part und ich habe zu Anfang eine Führung durch Vila Madalena und Pinheiros. Dabei geht es hauptsächlich um StreetArt, aber auch um nachhaltige Einrichtungen wie zum Beispiel die Schule Escola do Aprendiz, nachhaltige Architektur und jede Menge Shops und Botecos. Wenn das gut läuft, wird ausgeweitet – insgesamt gibt es etwa 7 Themenschwerpunkte, also viel zu tun. 😉

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Arte da Vila. An diesem Wochenende vor zwei Wochen hatten alle Galerien in Vila Madalena geöffnet und es gab zig Veranstaltungen drumherum, so auch eine StreetArtTour von SoulSampa, die Ya!, selber StreetArt-Künstlerin und ein wandelndes Lexikon in Sachen Graffiti, geleitet hat. Ya! erzählt über Paulo ITO, einen Graffitikünstler, der nur Frauen malt, Leandro von SoulSampa spricht über die Tour und’s Peti ist auch dabei. 😉 pe

VILA GOMES

StreetArt an den Wänden zu betrachten, ist eine feine Sache. StreetArt-Künstlern beim Enstehen ihrer Gemälde zuzuschauen, noch feiner. Ganz fein ist, wenn eine komplette Gasse zur Bemalung freigegeben ist und die Bewohner mit den Künstlern ein(e) Art Straßenfest feiern. So geschehen vorletzten Sonntag in Vila Gomes.

Da wurden Tische und Klappstühle vor die Tür gestellt, Bier drauf … leider gibts hier keine Pittermännchen 😉 und das Treiben kommentiert. Kinder dazwischen, die zu den neu entstandenen Gesichtern an den Wänden Geschichten erfunden haben und das in ihr Spiel eingebaut haben. Ganz süß war eine Horde pubertierender Jungs, die sich hinter einer Künstlerin versammelt und schwer interessiert zugesehen haben, wie auf der Wand langsam die Figur einer nackten Frau entstand 😉

Der Künstler „Prozak“ hat mal gesagt: „Das Beste ist, dass du den Kontakt zwischen Menschen und ihrer Stadt herstellst, während du malst. Ohne Graffiti wäre diese Interaktion niemals möglich.“ Dem kann ich nur zustimmen – nicht nur die Menschen, die dort wohnen bekommen einen anderen Blick für ihre Gasse, auch ziehen die Graffitis Besucher an. Dies kann dazu führen, dass ein Viertel eine Aufwertung erfährt und das wiederum kann allen nur helfen.

In São Paulo gibt es eine ganze Reihe solcher Aktionen – die bekannteste ist die Beco do Batman – benannt nach Batman’s Gotham City. Vor 15 Jahren war das noch eine ziemlich verrufene Gegend in Vila Madalena, dort lebten viele Obdachlose und eigentlich wollte keiner die Gasse freiwillig betreten. Dank einer Kooperation der Stadtverwaltung mit einigen Graffiti-Künstlern, die die Gasse komplett bemalt haben, hat sich das nun nachhaltig gewandelt und sie ist das Aushängeschild, wenn es um Graffiti in São Paulo geht (hab im Herbst schon mal davon erzählt). Nicht zuletzt, weil aus den damals mehr oder minder bekannten Künstlern heute wahre Größen der StreetArt geworden sind. pe